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Sehr geehrte Damen und Herren, von Pfingstmontag an war ich für eine knappe Woche mit einer Gruppe von Abgeordneten des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (AWZ) des Deutschen Bundestages auf einer offiziellen Delegationsreise in Pakistan. Darüber möchte ich gerne mit dieser kleinen Sonderausgabe meines Berliner Tagebuches berichten. Ich wünsche Ihnen eine angenehme Lektüre! Ihre Dr. Claudia Lücking-Michel, MdB
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1. Teil: Aus dem Parlament
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Afghanistan zu gefährlichUrsprünglich hatten wir vor, uns einen Eindruck von der Situation in Afghanistan zu verschaffen und nur im Anschluss ein, zwei Tage ins Nachbarland Pakistan zu reisen. Unsere Frage war: Wie geht es weiter in Afghanistan, wenn die Bundeswehr abgezogen ist? Wie und wo können wir mit unserer deutschen Entwicklungszusammenarbeit etwas zum Guten verändern? Allerdings waren Reiseziele außerhalb von Kabul nach und nach gestrichen worden. Am Ende wurde uns empfohlen, unsere Gesprächspartner vor allem in der Deutschen Botschaft zu treffen. Dann kam zwei Tage vor geplantem Reisebeginn die endgültige Entscheidung: Die Frühjahrsoffensive der Taliban hatte begonnen, die Sicherheitslage in Afghanistan ließ eine Reise - selbst wenn sie sich nur auf das Ziel Kabul beschränkt - nicht zu. Auch ein Statement. Wir waren nicht im Land, haben nichts gesehen und mit niemanden vor Ort gesprochen, aber eine Antwort auf unsere Frage war das schon auch.
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Unsere Reisegruppe: Mit meinen Kolleginnen (v.l.) Michaela Engelmeier, Dagmar Wöhrl, Bärbel Kofler und Claudia Roth flog ich nach Pakistan.
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Mehr Zeit für PakistanDer Reiseteil Pakistan stand zwar auch bis zum Schluss unter Vorbehalt, blieb aber mit Sicherheitsbegleitung und vielen Vorsichtsmaßnahmen möglich. Eine Delegation aus allen Fraktionen (außer der Linken, die hatte sich kurzfristig abgemeldet) konnte also zu einem Fünf-Tage-Aufenthalt nach Islamabad und Lahore aufbrechen. Auf dem Programm standen eine Reihe vom BMZ-finanzierten Projekten, viele offizielle Gespräche u.a. mit dem Staatspräsidenten Mamnoon Hussain, dem Chef der Armee, den Ministerpräsidenten der Provinzen Khyber-Pakhtunkhwa und Punjab, Parlamentarierinnen, Journalisten, Gewerkschaftlern und Menschenrechtsaktivisten. Aber auch Vertreter der deutschen Organisationen wie KMF, GIZ, DAAD oder der politischen Stiftungen haben wir getroffen. Für Bonner ganz wichtig: In Erinnerung an unsere große Bonner Professorin Annemarie Schimmel gibt es nicht nur bei uns in Bonn ein Annemarie-Schimmel-Haus, auch das Haus des Goethe Institutes in Lahore heißt so. Sie ahnen, das war eine Woche mit vielen Eindrücken, Gesprächen und aufschlussreichen Erfahrungen. Ein ausführlicher, offizieller Reisebericht der Delegation wird folgen. Aber mit einigen wenigen "Pinselstrichen" möchte ich hier einige, ganz wenige Eindrücke von Begegnungen festhalten. Alles andere als objektiv und umfassend, sondern ganz persönlich.
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In Pakistan haben wir auch ein Lager für afghanische Flüchtlinge besucht.
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Kinderarbeiter in den KohleminenNach langer Fahrt über immer schlechtere Landstraßen und engste Dorfstraßen erreichten wir am Mittwochnachmittag unser Fahrtziel Dhawal, ein Ort mit mehreren Kohleminen. Wer bei "Kohleminen" an Industrie wie im Ruhrgebiet denkt, der muss diese Bilder gleich aus seinem Kopf streichen. Wir sind in einer offenen, einsamen Landschaft, hügeliges Gelände ohne Baum und Strauch, kaum Grün. Kohle wird hier in Stollen abgebaut, die fast waagerecht in die Erde getrieben werden, der Eingang nicht mehr als ein Erdloch mit Holzverschlag. Andere Erdlöcher daneben sind Ställe für die Esel oder - von Außen nicht wirklich von den Ställen zu unterscheiden - die Wohnhöhlen der Kinder, die hier arbeiten. Sie sind auch der Grund dafür, dass wir hergekommen sind. Jungen ab 7 Jahren arbeiten hier, fern von ihren Familien, natürlich ohne Schulen, oft als so genannte Schuldarbeiter vom Minenbesitzer fast wie Sklaven abhängig. Die noch nicht ausgewachsenen Kinder kommen hier zum Einsatz als Eselführer. Sie können in den flachen Stollen noch aufrecht gehen und ziehen die Esel hinter sich her bis zur Stelle, wo gerade abgebaut wird, beladen die Tiere und dann geht es wieder zurück. Bis zu acht Mal, so ein 12-Jähriger, würde er die Tour am Tag machen, immer in größter Angst, denn Sicherheit am Arbeitsplatz ist hier nicht nur für die Kinder, sondern für alle katastrophal. Wir sind aber auch hier, um ein BMZ-gefördertes Projekt der deutschen Kindernothilfe zu besuchen: Das Fun Learning Centre ist eine einfache Hütte, innen mit Lehrmaterial, Spielsachen und bunten Bildern an den Wänden ausgestattet. Hier können die Jungen nach Arbeitsende herkommen, um sich zu waschen und umzuziehen, die wenige Freizeit zu nutzen, um Lesen zu lernen, mit den Beratern ins Gespräch zu kommen oder einfach zu spielen. Und der eine oder andere berichtet, dass er sich überlegt, vielleicht doch weiter in die Schule zu gehen. Hier wird den Jungen geholfen, diesen Wunsch auch in die Tat umzusetzen.
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Kinderarbeiter im Fun Learning Centre sprechen über ihren Alltag (unten links). Unsere Gruppe hört aufmerksam zu (rechts). Das Bild oben zeigt das Centre von außen.
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Besuch im FrauenhausUnsere kleine Delegation war eine reine Frauengruppe. Diesen Zufall wollten wir nutzen, um uns ganz speziell mit der Situation von Frauen hier in Pakistan zu beschäftigen und Frauenprojekte zu besuchen. Sehr beeindruckend war die Begegnung mit der Rechtsanwältin und bekannten Frauenrechtlerin Hina Jilani in dem von ihr gegründeten Frauenhaus in Dastak. Die Frau hat Power: Neben der Arbeit in ihrer eigenen Rechtsanwaltskanzlei berät und vertritt sie seit vielen Jahren ehrenamtlich bedrohte Frauen. Dabei ist sie selbst zu einer bedrohten und hochgefährdeten Person geworden. Irgendwann wurde ihr klar, dass es nicht reicht, ihre Klientinnen juristisch zu verteidigen. Die Frauen brauchen eine geschützte Unterkunft. Das Frauenhaus wurde eröffnet und wird bald in einen größeren Neubau umziehen. Wir sprachen mit einer Reihe junger Frauen, die hier zum Teil mit ihren Kindern leben. Frauenhäuser kennen wir auch in Deutschland, die Härte der Lebensumstände ist mit der bei uns aber nicht vergleichbar. Hauptthemen sind "Zwangsheirat" und "Ehrenmorde" – in der Regel aus dem direkten familiären Umfeld von Vater, Onkel oder Bruder. Besonders perfide: Nach pakistanischem Recht kann das Opfer (oder in der Praxis meist die Familie des getöteten Opfers) sich mit dem Mörder vor Gericht einen Vergleich aushandeln. Heißt: Erst bestimmt man den Auftragskiller oder das Familienmitglied, das die Tat ausführen soll, und hinterher "versöhnt" man sich mit ihm, sodass dieser ungestraft davon kommt.
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Diese Frau hat Power: Hina Jilani, Anwältin und Frauenrechtlerin.
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Als Christ in Pakistan Der Anschlag auf eine katholische Kirche und die darin versammelte Gottesdienstgemeinde in Lahore Ende 2014 hat es bis in unsere Zeitungsschlagzeilen geschafft. Wir kamen an dieser Kirche vorbei, sprachen mit Vertretern der Menschenrechtskommission der hiesigen Justitia et Pax-Kommission, die im Auftrag der pakistanischen Bischofskonferenz in der Menschenrechtsarbeit - für alle betroffenen religiösen Minderheiten - aktiv ist und trafen den Erzbischof von Lahore, Francis Shaw. Das Gelände der kleinen Kathedrale ist ein Hochsicherheitstrakt, unsere Security-Leute bei diesem Termin besonders aufmerksam. Auch wenn uns am Morgen der Ministerpräsident von Punjab, Shabaz Sharif, noch versichert hatte, in Pakistan wären alle religiösen Gruppen absolut gleichgestellt, ist die Lage offensichtlich äußerst fragil. Ein großes Problem ist das sog. "Blasphemie-Gesetz". Mit großer Mehrheit werden Muslime nach diesem Gesetz verurteilt, aber für Christen z.B. wird es zu einem dauernden Damokles-Schwert. Jeder Nachbarschaftsstreit, jede Missgunst kann über dieses Gesetz bedrohliche Folgen haben. Noch am Samstag vor unserer Ankunft wurde ein geistig behinderter junger Christ angeklagt, mit Seiten eines Schulbuches, auf denen Koranzitate abgedruckt waren, "blasphemisch" umgegangen zu sein. Schnell versammelte sich eine Menge von 200 bis 300 Leuten vor seinem Haus und wollte den ganzen Block anzünden. Zum Glück hat diesmal das schnelle Eingreifen der Polizei Schlimmeres verhindert.
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Erlebnisse werden Politik beeinflussenSo eine Woche ist kurz, aber das Programm voll. Über viele Dinge könnte man noch berichten: zum Beispiel über die Begegnungen im Lager für afghanische Flüchtlinge, oder über das Gespräch mit einer hochmotivierten jungen Studentin, die rasant schnell Deutsch gelernt hat und mich fragt, wie ihre Chancen auf einen Studienplatz in Deutschland sind. Wir haben im Parlament Vertreterinnen des Women Caucus getroffen, ein fraktionsübergreifender Zusammenschluss aller weiblichen Abgeordneten. Und wir haben eine Theater- und eine Tanzaufführung in der Uni-Aula des National College of Art in Lahore gesehen - auch das ist Pakistan. Das Ganze werden wir nachbereiten und einen ausführlichen, offiziellen Reisebericht schreiben. Was ich sagen kann: Die Erfahrungen und Gespräche dieser Reise werden präsent und prägend sein für unsere zukünftige Politik im Ausschuss.
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Ein Foto von der Theater- und Tanzaufführung in der Uni-Aula des National College of Art in Lahore.
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Auch eine PASCH-Schule haben wir besucht.Hier wird den Schülerinnen und Schülern ein Zugang zur deutschen Sprache und Bildung ermöglicht.
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