Die Königsskulpturen Ralf Knoblauchs

Einführungstext von Theologin Dorothee Sandherr-Klemp
anlässlich der Einweihung der Dauerleihgabe einer Königsskulptur von Ralf Knoblauch für das Bonner Wahlkreisbüro von Claudia Lücking-Michel, 11. Dezember 2016:

Liebe Gäste, liebe Claudia, lieber Ralf,

An die 100 Könige sind in den letzten Jahren in den ganz frühen Morgenstunden in meditativer, aber auch ganz schön anstrengender Arbeit in der Kunstwerkstatt Ralf Knoblauchs entstanden. Und nun steht einer hier. Schauen wir also auf diesen König, der jetzt, stellvertretend für viele andere ganz eigen-artige Könige und Königinnen, hier bei Claudia Lücking-Michel, also direkt im politischen Getümmel steht. Warum steht er hier? ¬ Früher haben sich die wichtigen Leute, die Herrschenden ein Wappen zugelegt. Und typisch für diese Wappen waren Symbole der Macht. Adler, Greif, Löwe. Und die Löwen kennt man ja auch als Skulpturen, rechts und links des Aufgangs eines Anwesens.

Warum also stellst Du, liebe Claudia, einen solchen, doch sehr bescheiden und fast demütig wirkenden, lächelnden König in dein Bonner Büro? Denn, das müssen wir zugeben, der „Glamourfaktor“ dieser Könige ist nicht besonders hoch. Auch die immer bescheidene, wenig raumgreifende Haltung der Könige unterläuft ja unsere Erwartung an eine königliche Erscheinung, an königliches Gebaren. Machtgebaren sieht anders aus, nicht wahr Claudia, Du kommst ja frisch vom CDU-Parteitag, Du musst es ja wissen…

Und trotzdem – oder vielleicht gerade deshalb ¬ stellst Du hier bewusst diesen bescheidenen, demütigen, nach innen schauenden König auf: Runde, nicht gestraffte Schultern, Arme, die nah am Körper liegen – Ralf Knoblauchs Könige sind nicht gerade auf Expansion aus. Sie nehmen anderen gewiss nicht die Luft zum Atmen. Und doch ist in diesem nach innen gerichteten Blick der Könige, in ihrer ruhigen, in sich gekehrten Haltung eine königliche Konstanz, eine erstaunliche und fast ansteckende Ruhe und Gelassenheit, WÜRDE zu spüren. Die Würde des Menschen, eines jeden Menschen, darum geht es dem Künstler Ralf Knoblauch bei seinen Königen. Würde: Ein wichtiges Thema, ein heikles Thema, ein Thema auch, bei dem die Phrase ganz nah ist.

Wenn ich an die Orte und Länder denke, die Claudia Lücking-Michel in den letzten Jahren bereist hat, sozusagen von Pakistan bis Palästina, dann ist klar, dass die Würde, die Königswürde der Menschen dort keine Realität ist, die sich allzu sehr aufdrängt. Und wenn ich an Ralf Knoblauchs Arbeit als Diakon in sozialen Brennpunkten denke, an die Menschen mit ihren Verlusten, Abhängigkeiten, verlorenen Hoffnungen, dann fällt es mir auch nicht so leicht, von Würde, gar von Königsein der Menschen dort zu sprechen. Und wenn wir an die unerträgliche Zunahme der sogenannten Hate speech, der Hasssprache, der verbalen Ausfälle gegenüber Minderheiten denken, an die geradezu ent-menschlichenden Herabwürdigungen, die in der Öffentlichkeit stehende Personen, besonders aber Frauen ertragen müssen, dann fällt mir auch nicht als erstes die Unantastbarkeit der Würde, die Königswürde eines jedes Menschen ein.

Gerade deshalb ist das Nachdenken über die Königs-Würde eines jeden Menschen heute wichtiger denn je. Würde ist übrigens kein biblischer Begriff, und doch ein durch und durch christlicher. Was wir heute so etwas unklar und doch unersetzbar „Würde“ nennen, leitet sich biblisch aus der Gottesebenbildlichkeit, Gotteskindschaft eines jeden Menschen ab. Und wir tun uns schwer, eine andere Begründung dafür zu finden, warum wir einem geflüchteten Namenlosen so begegnen sollen wie jemandem aus unserer Gruppe, aus unserem Clan, unserer Ethnie, unserer Familie. Ein wahrlich nachdenkenswertes Thema, die Würde des Menschen.

Der Bildhauer Ralf Knoblauch nähert sich dem Thema auf seine Weise – und er erreicht die Menschen – auf seine Weise, und er überzeugt – auf seine Weise. Die Botschaft der versehrten Könige, der Könige mit den Gebrauchsspuren, den Lebensspuren, sie kommt an. Ich denke da auch an viele berührende, unter die Haut gehende Kommentare, die Schülerinnen und Schüler im November in der Mitmachausstellung in St. Franziskus hier in Bonn formuliert haben. Ein körperbehindertes Mädchen im Rollstuhl hat in der versehrten, armlosen Königin sich selbst erkannt, ihr Königsein, ihre unverlierbare Würde. Das ist viel. Das ist sehr viel.

Warum erreicht diese Botschaft von der unverlierbaren Würde jedes Einzelnen die Menschen? Der Blick des Künstlers Ralf Knoblauch ist der Blick des Menschen, ist der Blick des Diakons, ist der Blick dessen, der zu den Menschen geht: Ein Blick, der die Sehnsüchte sieht; vor allem die Sehnsucht, etwas wert zu sein, zu lieben und geliebt zu werden, anerkannt, innerlich schön. Und dieses Bedürfnis, gesehen, anerkannt, erkannt zu werden, gehört zu den Menschen in den Flüchtlingsunterkünften wie zu denen in den eleganten Altbauwohnungen, es gehört zu denjenigen, die auf der Straße leben wie zu denen, die in den Architektenhäusern oder in Sozialwohnungen leben.

Ralf Knoblauch begegnet in seiner diakonischen Arbeit den Menschen auf Augenhöhe. Claudia Lücking-Michel begegnet den Menschen in ihrer politischen Arbeit auf Augenhöhe. Das ist keine Attitüde, das ist Euer beider Anspruch, Euer beider Anliegen. Auch die kleine Königsskulptur hier finden wir auf Augenhöhe, so können wir mit ihr kommunizieren und erfahren, dass diesen kleinen königlichen Gestalten eine besondere Würde innewohnt – wie uns allen: fast unerwarteter Weise. Auf eine innere Weise. Auf eine leise Weise.

Ich möchte uns noch einen Satz mitgeben, der für die Politikerin wie für den Künstler gilt, der uns allen gilt und für uns alle gilt: Es ist ein Satz von Martin Buber, dem großen jüdischen Religionsphilosophen. Martin Buber sagt: „Es gibt nur eine wirkliche Sünde: zu vergessen, dass jeder Mensch ein Königskind ist.“